Niemandsland

KAMPF UM NICHTS

Da sitzt Du. Sitzt vor mir und siehst mich an, siehst mir durch die Augen direkt in den Kopf. Zumindest bilde ich mir ein, daß es so ist. Ein bißchen Angst habe ich schon. Du siehst aus dem Fenster, schaust mir wieder in die Augen, lächelst verlegen, dann zieht es Deinen Blick wieder auf die Straße. "Was hast Du gesehen?" frage ich. "Nichts, ich schaue nach den Passanten." Einen Moment lang wünscht sich meine Angst, Du hättest recht, hättest tatsächlich nichts gesehen, nichts von dem bemerkt, was in mir tobt.
Schon komisch, wie oft man mir vorgeworfen hat, eindeutig mißverständliche Signale auszusenden, und ausgerechnet Du willst überhaupt nichts bemerkt haben.
Die quälende innere Unruhe läßt mich hektisch die nächste Zigarette aus der Packung reißen, mit der ich, wenn ich nicht gerade rauche, seit über einer Stunde permanent herumspiele. Ich zünde sie an, nehme einen tiefen, fast gierigen Zug, als könnte ich hinter dem Rauch versteckt im Boden versinken. "Ja genau, rauch Dir noch eine." - zynisch, aber wahr. Habe ich doch in den paar Stunden, die ich jetzt bei Dir bin, bereits die zweite Schachtel angebrochen. Schließlich kann ich mich auch nicht erinnern, wann ich zuletzt so unsicher und nervös gewesen bin. Ich komme mir vor, wie ein kleiner Schuljunge, der sich zum allerersten Mal verliebt hat und nicht weiß, wie er damit umgehen soll. Verliebt, das ist es, jetzt ist es raus, wenn ich es auch nicht gesagt habe. Ich habe es mir selbst eingestanden, habe zugelassen, mir des Gefühls bewußt zu werden.
Zugelassen, welches Wort könnte unpassender sein, diese Gefühlsregung zu beschreiben?
Dennoch, es trifft den Kern, ich habe es zugelassen, habe zugelassen, daß mein Herz offen daliegt und nach der Erwiderung seines Schlages schreit. Meine Hände sind schweißnaß, zu gerne würden sie über den Tisch hinweg nach den Deinen greifen. "Nein nein," sagt der Verstand "ihr kennt euch doch noch gar nicht lange genug, du weißt nichts von ihren Gefühlen, du solltest ..." Seine Worte verhallen im Strom des rauschenden Blutes, das das Herz mit inzwischen nicht mehr zählbaren Schlägen durch meinen Kopf rasen läßt.
Ich muß mich überwinden, muß mir ein Herz fassen, wie es so schön heißt, weiß ich doch ganz genau, was ich möchte. Was aber, wenn ... Warten kann ich auch nicht mehr. Andererseits ... Ich muß etwas tun. Nur, was? Ich könnte ... Nein, dumme Idee. Besser, wenn ich ...

"Bist Du müde, soll ich Dich nach Hause bringen?"

Wir greifen nach etwas
Das wir niemals
Finden können
Erstreiten
Viel weniger noch
Die kranke Gier
Nach dem Besitz
Des nicht Faßbaren
Macht uns
Zu einsamen Verlierern
Auf der Suche
Nach dem Gefühl
Mit dem wir
Geboren wurden